„Das Positive ist, dass ich trotz der ganzen, teils schweren Verletzungen, keine bleibenden Schäden davon trage und wieder vollkommen gesund werde. Das ist ein riesengroßes Geschenk“, so Tilman, der neben einem gebrochenen Oberarm vor allem innere Verletzungen davontrug. „Mir wurde die Milz, der Blinddarm sowie jeweils ein Stück vom Dickdarm und von der Bauchspeicheldrüse entfernt. Zudem war die Lunge eingerissen, weshalb ich Blut gespuckt habe, und das Herz war geprellt“, fasst er die verheerenden Ausmaße nüchtern zusammen. „Laut Unfallbericht, den ich mir jetzt erst in Ruhe durchgelesen habe, hat es vor Ort eine Stunde gedauert, bis alle Schläuche und Drainagen gelegt waren und die Beatmung stand. Erst dann konnte ich mit dem Hubschrauber in das nur wenige Kilometer entfernte BG-Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn geflogen werden. Dort wurde ich dann viereinhalb Stunden operiert und keiner wusste, ob ich es überhaupt überleben werde. Ganz ehrlich, da steigen schon Gefühle in mir hoch, die nur schwer in Worte zu fassen sind. Ich habe ja von alldem gar nichts mitbekommen, da ich komplett bewusstlos war. Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich nicht wieder aufgewacht wäre und von dieser ganzen Katastrophe überhaupt nie etwas mitbekommen hätte, ist das schon kompletter Wahnsinn! Ich hätte ja nicht einmal ‚Tschüss‘ sagen können“, lässt Tilman tief in sein Seelenleben blicken, der nach dreieinhalb Wochen Krankenhausaufenthalt endlich wieder nach Hause konnte und dort von seinem fünfzehnmonatigen Sohn stürmisch begrüßt wurde. „Gerade in der Zeit, als ich nicht da war, hat er das Laufen gelernt und kam mir mit ‚Papa, Papa, Papa‘ entgegen, das war einfach nur unbeschreiblich und hat den Entschluss, meine Karriere zu beenden einfach nur noch einmal auf eine ganz besondere, intensive Art und Weise bekräftigt.“
Karriereende so oder so
„Um ehrlich zu sein, wäre es auch ohne diesen Sturz mit großer Wahrscheinlichkeit meine letzte Saison gewesen“, gibt der Familienvater und Jungunternehmer offen zu, „meine Prioritäten haben sich einfach verschoben. Ich wollte es dieses Jahr noch einmal wissen. Ich hatte soviel Spaß am Motorradfahren wie noch nie. Die Unterstützung von allen Seiten war durchweg grenzenlos. Ich hatte wirklich das Gefühl, es dieses Jahr packen zu können!“ Danach sah es bis zu jenem schicksalhaften Sturz auch aus, ein Sturz, den sich keiner so recht erklären kann, auch Tilman nicht. „Es ist mir ein Rätsel, da es an einer wirklich total unspektakulären Stelle passiert ist. Unerklärlich. Totaler Blackout! Schon ab Mitte der zweiten Runde fehlt mir jegliche Erinnerung. Alles wie ausgelöscht“, so Tilman, der mit dem Gerücht aufräumen möchte, im letzten Test noch einmal besonders aggressiv am Gasgriff gedreht zu haben. „Das ist Quatsch. Ob ich letztlich Zweiter oder Dritter im Championat geworden wäre, war mir vollkommen egal. Der Meistertitel war mein Ziel und dafür musste ich nur noch sauber durchfahren. Das war mir hundertprozentig bewusst und so bin ich den Tag auch angegangen. Ich habe nichts übertrieben, bin ruhig gefahren und kein unnötiges Risiko eingegangen.“
„Natürlich ist es sehr bitter und extrem schade, wie die ansonsten tolle Saison, welche ich, bis auf das Ende, dennoch in allerbester Erinnerung behalten werden, ausgegangen ist. Gern hätte ich den Titel gewonnen und mit diesem sportlichen Höhepunkt aufgehört. Genauso wie 2017 Marco Neubert. Ich finde, er hat das damals super gemacht und war für mich in dieser Hinsicht auch jetzt so eine Art Vorbild“, gesteht Tilman, der seit zweieinhalb Jahren hauptberuflich ein eigenes Unternehmen führt und dort alte Land Rover wartet, aufbaut und restauriert. Auch dort steht momentan alles still, ebenso wie in seinem Scott-Fahrradladen, den er nebenher mit vollem Engagement betreibt. „Aber die Hilfsbereitschaft ist phänomenal. Es kommen immer wieder Kumpels die schrauben, während ich daneben sitze und die Anweisungen gebe“, schmunzelt der Chef. „Ich kann aktuell nichts machen. Und ich soll auch nichts machen, bis ich wieder richtig gesund bin. Aber es ist eben schwierig still zu sitzen, vor allem muss es in der Firma weitergehen. Umso dankbarer bin ich für jeden, der mir unter die Arme greift. Sascha Meyhoff zum Beispiel, der kommt extra am Wochenende zwei Autostunden gefahren, um mich zu unterstützen. Das ist einfach nur großartig“, zeigt sich Tilman extrem dankbar und berichtet weiter, „die Anteilnahme ist wirklich riesengroß, von allen Seiten. Allein über 300 Nachrichten waren auf dem Handy. Ich versuche nach und nach, alle zu beantworten, weil ich merke, dass es mir gut tut, über diese Erlebnisse zu berichten. Ich habe mit der ganzen Situation, wie sie nun eben ist, meinen Frieden gemacht. Der verlorene Titel wiegt in keinem Verhältnis auf, welches Glück ich hatte, dass ich jetzt überhaupt noch hier bin!“
Schon lange Zeit dabei, aber immer wieder ausgebremst...
Tilman Krause zählt seit vielen Jahren zu den Leistungsträgern in der Int. Deutschen Enduro Meisterschaft. Umso verwunderlicher ist es, dass als beste Endresultate lediglich zwei dritte Ränge zu Buche stehen. Zum einen 2017 und eben jetzt, 2022 – beide in der Klasse E2. Zu oft wurden ihm Verletzungen oder technische Ausfälle zum Verhängnis. Wie beispielsweise der Schlüsselbeinbruch 2018, als er das Finale verpasste und noch von der zweiten auf die vierte Position zurück fiel. Oder 2015, als er wegen eines gebrochenen Unterschenkels den Saisonstart nur von zu Hause aus verfolgen konnte. Als größte Erfolge stehen damit die beiden Deutschen Enduro-Mannschaftsmeisterschaftstitel 2015 und 2016 mit dem Team ADAC Niedersachsen / Sachsen-Anhalt in seiner Vita. Tilman, aus Groß Niendorf in Schleswig-Holstein, der nahezu seine komplette Karriere im Team BvZ Racing auf einer KTM bestritt, stieg als 16-Jähriger in den DMSB-Enduro-Pokal ein und holte in seinem Debüt-Jahr gleich einen ersten Tagessieg. Das war 2008 in Tucheim in der Klasse 125ccm. Ein Jahr später wurde er in der gleichen Kategorie Vize-Champ, punktgleich mit dem damaligen Sieger Sepp Wiegand.
„Lang ist es her“, schwelgt Tilman, der auch immer wieder versuchte, internationale Wettbewerbe zu bestreiten, in Erinnerungen. „Six Days bin ich gefahren, eine komplette EM-Saison, einzelne WM-Läufe. Es waren auch hier immer tolle Erlebnisse“, so der KTM-Fahrer, der dieses Jahr außerdem vor hatte, beim legendären Novemberkasan in Schweden zu starten. „Damit war es nun leider nichts. Aber das könnte ich mir als einziges vorstellen, es in zwei, drei Jahren noch einmal zu versuchen. Allerdings eben als reiner Hobby-Fahrer, ganz ohne Druck und Erwartungshaltung. Ganz ohne Motorrad wird es bei mir eh nicht gehen. Meine Lehrgänge werde ich auch fortführen, aber eben keine Rennen mehr bestreiten. In dieser Hinsicht ist der Schlussstrich gezogen“, unterstreicht Tilman, der abschließend noch allen langjährigen Weggefährten, Unterstützern und Partnern danken möchte. „Meinem Team BvZ Racing mit Bert und Davide, allen Betreuern, Reifen-Helm für die Mega-Zusammenarbeit, allen Sponsoren, meiner ganzen Familie für ihre grenzenlose Unterstützung und Geduld mit mir. An alle die mich begleitet und immer die Daumen gedrückt haben. Und ganz besonders meiner Freundin Anne, die immer und jederzeit zu einhundert Prozent hinter mir stand, egal ob in guten oder schwierigen Zeiten. Vielen Dank an alle! Es war eine unbeschreiblich tolle Zeit im Paddock, die nun ihr Ende gefunden hat.“